Steffis Geschichte

Steffis Geschichte

Ich wurde in eine fundamentalistisch, fanatisch-religiöse Familie hineingeboren, zwei Schwestern folgten, für die ich immer versucht habe, Schaden abzuwenden. Meine frühesten Kindheitserlebnisse waren von massiver Überforderung geprägt. Wenn ich an meine ersten 18 Lebensjahre zurückdenke, waren sie von Gewalt, Demütigungen und Abwertungen geprägt. Immer ging es um Schuld; ein tiefes Schamgefühl dafür, dass ich überhaupt lebe, war mein ständiger Begleiter. Ich fühlte mich weder gesehen noch verstanden, von geliebt ganz zu schweigen. Ich dachte immer, mit mir ist etwas falsch und ich müsse mich nur noch mehr anstrengen, dann würde alles gut werden. Also strengte ich mich an; das ist zwar eine Überlebensstrategie, aber sicher kein gutes Lebensgefühl, eher eine Kampfansage an das Leben, um nicht verzweifelt unterzugehen. Das Gefühl, nie etwas richtig tun oder genügend zu sein, ist sehr quälend.

Meine ganze Kindheit war ich extrem viel körperlich krank; erst mit Anfang 20 fand ich durch eine radikale Ernährungsumstellung zu einer alltäglichen Gesundheit.

Ich erlebte körperliche Gewalt in Form von Schlägen, ins Gesicht oder auf den „Hintern“.  Wir wurden als kleine Kinder im Bett angebunden, später mussten wir im dunklen Flur in der Ecke stehen. Ich entwickelte eine Dauerschlafstörung durch die vielen Ängste zu Hause, in der Schule und in der religiösen Gemeinschaft und durch die allgegenwärtige körperliche und psychische Gewalt. Diese Schlafstörung war so normal und mir all die Jahrzehnte nie bewusst, bis ich im zweiten Burnout zu einem Schlafdoktor geschickt wurde und erst da das ganze Ausmaß begriff.

Grundsätzlich war die Erziehung körperfeindlich. Ich leide bis heute durch die ganze körperliche Gewalt immer unter Verspannungen am ganzen Körper; insbesondere Wirbelsäule, Kiefer und Becken sind betroffen. Mein Weg in eine natürliche und gesunde Sexualität ist wohl ein langer. Mein ganzes System ist eigentlich ständig in Alarmbereitschaft und scannt die Umgebung nach Gefahren ab. Ich bin extrem schreckhaft und ständig unter Strom. Dauerstress macht krank; das spüre ich und tue viel, um mich gesund zu ernähren, und bewege mich viel an der frischen Luft.

Lange waren auch Freundschaften, die mir guttun und mich nähren, ein Fremdwort für mich. Ich wusste nicht, wie man so was pflegt ohne sich aufzuopfern. Auch in Beziehungen zu Männern ließ ich mich eher ausnutzen.

Erschwerend kam hinzu, dass Freikirchen wie die meiner Eltern in der DDR bespitzelt wurden und somit wie eigene kleine abgeschottete Welten waren. Als ich eingeschult wurde, kam ich, auf Entscheidung meines Vaters, nicht in die Pioniere und erlebte die ersten drei Schuljahre massives Mobbing (wie man heute sagen würde) durch meine Mitschüler und auch andere Schüler der Schule, denn ohne weißes Pionierhemd und blaues Halstuch war ich für alle 600 Schüler der Polytechnischen Oberschule mehrfach im Schuljahr klar als Außenseiter sichtbar.  Von der Lehrern wurde das eher begrüßt, da ich ja ein „Staatsfeind“ war … als sechsjährige!!! Zudem hätte ich auch nie eine Erweiterte Oberschule (EOS) besuchen können und nie Abitur gemacht; doch glücklicherweise kam die Wende. 

Nach über 20 Jahren Therapie und viel Detektivarbeit habe ich kognitiv viel verstanden und dennoch fällt es mir sehr schwer, besonders unter Stress oder in Krisen, freundlich mit mir selbst zu sein, wertschätzend und achtsam. Stattdessen sind die Überforderung und mein Selbstbild, mir selbst Unmögliches abverlangen zu müssen, mein steter Begleiter.

Nun bin ich Anfang 40, führe augenscheinlich ein recht normales Leben, habe studiert, geheiratet, einen Sohn bekommen, bin geschieden und lebe als alleinerziehende Mutter.  Doch unter dieser Oberfläche ist nach wie vor viel Anstrengung. Ich hatte schon drei Burnouts und kämpfe eigentlich jeden Tag gegen die vernichtenden Schatten der Vergangenheit. Was für andere ganz normal und selbstverständlich ist, auch mal zu genießen und entspannen, ist für mich kaum zu erreichen. Immer gibt es etwas zu tun, zu verstehen, zu erreichen. Der innere Antreiber ist sehr stark und mächtig.

Es gibt leider nur sehr wenige Menschen, die verstehen können, wieviel Kraft diese inneren Dauerkämpfe ziehen und wie schwer es ist, ihnen zu entfliehen.

Wie holt man eine Kindheit und Jugend nach, die es nicht gab?

Wie lernt man zu sagen, was man wirklich braucht, wenn man verlernt hat, es selbst zu fühlen?

Wie erzählt man anderen von seinem Leben, ohne sie zu erschrecken oder sich den Vorwurf anzuhören, man soll doch endlich mal die Vergangenheit ruhen lassen, wo sie einen doch tagtäglich anschreit?

Wie gestaltet man eine Beziehung zu einem Partner ohne ihn zu überfordern mit der grausamen Vergangenheit und ihren Ausläufern in die Gegenwart?

Wie begleitete man sein eigenes Kind beim Umgang mit den fanatischen Großeltern?